Staatsaktion mit Folgen

Bernd Lisek

2004


Zuerst war da nur der Geruch des Rauches. Dann sahen wir den Feuerschein am westlichen Nachthimmel.

"Der Wald brennt!"

"Jaja, das ist auf der anderen Seite des Baches, schon Gebiet von Santa Clara. Den Köhlern ist das Feuer davongelaufen", erklärte seelenruhig der Vorarbeiter von Aguas Buenas.

"Aber wir müssen doch etwas tun!"

Die Flammen fraßen sich auf einer Front von mehr als hundert Metern durch das Unterholz zwischen den letzten Eichen der Gegend.

"Da ist nichts zu machen."

Bis hier hoch würde die Feuerwehr nicht kommen. Nicht wegen eines Stückchen Waldes.

Am nächsten Morgen, das Feuer kroch den Hang Richtung Alto Indias empor, informierten wir den Amtsleiter Villalobos vom Cartagoer Umweltamt.

"Wir kümmern uns", versprach dieser.

Drei Tage später, der Brand war nach einem heftigen Regenguss im wesentlichen erloschen, nur hier und da qualmte es noch etwas, hielt ein schwerer Geländewagen vor unserem Tor. Drei Männer stiegen aus. Amtsleiter Villalobos stellte seine beiden Begleiter vor: einen Förster als Fachmann und einen Polizisten für den Fall, dass es etwas amtlich durchzusetzen gäbe. Wir wiesen den dreien die Richtung zu dem verkohlten Waldstreifen. Der Anblick versetzte den Förster in eine heilige Wut. Er stieß wüste Beschimpfungen gegen die Übeltäter aus. Schließlich zog der Förster sein riesiges Fernglas aus dem Futteral und schaute hindurch.

"Das war ja alles Primärwald!" stellte er fest, was natürlich nicht stimmte. Der Polizist griff mehrfach nach seiner Pistolentasche.

"Kann man da hinüber gehen?" fragte Villalobos.

Man konnte.

Als die Männer nach fast einer Stunde zurückkehrten, führten sie zwischen sich einen kleinen Mann, der eine Motorsäge auf der Schulter trug. Beim Näherkommen erkannten wir den jüngsten der Zuñiga-Brüder. Sie hatten ihn mit der Säge auf der Brandfläche angetroffen.

Die Zuñiga-Brüder gehörten zu jenen Precaristas, extrem armen Leuten, die vor vielen Jahren den vernachlässigten Großgrundbesitz von Santa Clara besetzt hatten. Sie sahen keinen anderen Ausweg ihre Familien vor dem Verhungern zu bewahren. Seitdem ernährten sie sich von Landwirtschaft in sehr kleinem Stil. Ohne Eigentumstitel, ohne jede Rechtssicherheit, damit abgeschnitten von allen Kreditmöglichkeiten, kamen sie nicht recht voran. So war es nur natürlich, dass sie alle Möglichkeiten nutzten zu etwas Geld zu kommen. Auch die illegale Köhlerei. Aber die Zuñigas waren energische Leute. Sie glaubten an ihre Zukunft. Eiserne Sparsamkeit erlaubte es ihnen, in Werkzeuge zu investieren. Der kleine Zuñiga hatte sicher noch nie zuvor einen so wertvollen Gegenstand besessen wie diese Motorsäge.

Nun stand er also gesenkten Blickes an unseren Torpfosten gelehnt, neben ihm die fast neue Säge. Villalobos hielt ihm eine Standpauke. Ein Beispiel an uns solle er sich nehmen. Bäume pflanzen statt Bäume zu vernichten. An zukünftige Generationen solle er denken, an seine Kinder. Da zuckte es trotzig um Zuñigas Mundwinkel.

Schließlich wurde die Motorsäge in aller Form beschlagnahmt und in das Auto verfrachtet. In Zuñigas Augen standen die Tränen. Dass er außerdem ein Strafverfahren zu erwarten habe, berührte ihn weit weniger. Was konnte denn nun noch Schlimmeres kommen? Als sie ihn laufen ließen, warf er mir einen hasserfüllten Blick zu. Es war ja klar, wem er das alles zu verdanken hatte.

Die Vertreter der Staatsmacht waren sichtlich mit sich zufrieden.

"So stelle ich mir unsere Zusammenarbeit vor", sagte der Amtsleiter, als er mir die Hand schüttelte.

"Ich nicht."

Das wollte Villalobos nicht verstehen.

Das Verhältnis zu unseren Nachbarn aus Santa Clara war auf dem Tiefpunkt. Doch die Zeit heilt viele Wunden. Was aus dem Strafverfahren geworden ist, weiß ich nicht. Es hat nie wieder jemand davon gesprochen. Ich möchte auch nicht danach fragen. Nach zwei Jahren erwiderten die Zuñigas endlich meinen Gruß auf der Straße.

Die Zuñiga-Brüder experimentierten ähnlich wie wir mit Naranjillas1). Dies sind begehrte Marktfrüchte. Ihr Preis ist recht hoch, weil die Pflanze in den traditionellen Landwirtschaftsgegenden schlecht gedeiht. Versuche des Anbaus in größerem Stil waren an mehreren Orten gescheitert. Den Zuñigas gelang es, Naranjillas in rentabler Weise anzubauen. Jede Woche trug der kleine Zuñiga einen 15kg-Sack, zumeist Naranjillas und Cubaces2), auf der Schulter ins Tal.

Im letzten Jahr traf ich ihn in unserem Arboretum an, in die Betrachtung der Bäumchen vertieft.

"Ihr solltet Schilder neben die Bäume stellen, mit Namen und den wichtigsten Eigenschaften. Damit unsereiner auch etwas davon hat", sagte er.

Es stellte sich heraus, dass er geeignete Schattenbäume für seine Naranjillapflanzung suchte.

Die Schilder stehen inzwischen. In diesem Jahr hatten wir ein langes Gespräch über alle unsere gärtnerischen Versuche. Dabei haben wir viel vom jeweils anderen gelernt. Die Zuñigas sind genaue Beobachter der Natur. Man muss nicht Ökolandbau studiert haben, um ökologisch vernünftige Kulturmethoden zu entwickeln.

Am Ende des Gesprächs nannte mich der kleine Zuñiga "amigo". Was gewesen ist, scheint überwunden, wenn auch nicht vergessen. Geköhlert wird in Santa Clara nicht mehr.

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1) Solanum quitoense

2) braune Bohnen